Friedensnobelpreis 1985: Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs

Friedensnobelpreis 1985: Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs
Friedensnobelpreis 1985: Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs
 
Die Vereinigung wurde dafür ausgezeichnet, dass sie vor den Folgen eines Atomkriegs und den Gefahren der technischen Nutzung der Kernenergie warnt.
 
 
International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW), Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung, 1980 in Genf gegründet (auf Initiative der Ärzte Dr. Bernard Lown und Dr. Jewgenij Tschasow), Hauptsitz: Cambridge (Massachusetts), Sitz der Geschäftsstelle der deutschen Sektion: Berlin.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Wenige Kilogramm Sprengstoff genügen, um ein Haus dem Erdboden gleich zu machen oder bei einem Terroranschlag ein Blutbad anzurichten. Eine Idee, welch zerstörerische Energie einige hundert Kilogramm oder mehrere Tonnen Sprengstoff entfalten, vermag die Fantasie wohl noch zu produzieren, doch bei den modernen Atomwaffen versagt die menschliche Vorstellungskraft vollends. Deren Sprengkraft wird in Kilotonnen und Megatonnen konventionellen Sprengstoffs, wie Trinitrotoluol (TNT), angegeben. Sogar kleinere atomare Sprengköpfe erzeugen eine Explosion, die der Sprengkraft von etlichen tausend Tonnen TNT entspricht und richten unvorstellbare Schäden an.
 
Atomwaffen wurden und werden seit der Entwicklung dieser vernichtenden Waffen im Zweiten Weltkrieg viele hundert Mal getestet. Zum militärischen Einsatz kamen sie bisher im August 1945 bei den US-amerikanischen Bombenangriffen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Im Umkreis von mehreren Kilometern der Abwurfstellen verwüsteten die beiden Bomben damals alles. Annähernd 130 000 Einwohner wurden sofort getötet und über 100 000 verwundet. An den Spätfolgen der radioaktiven Strahlung sind bis heute mindestens ebenso viele Menschen gestorben.
 
 Vorbeugung gegen den Atomkrieg
 
Ärzte und Ärztinnen, die in den Unfallambulanzen täglich schwere und schwerste Verletzungen behandeln müssen, können sich die Folgen einer Atombombenexplosion sicherlich noch am ehesten vorstellen. Kein medizinischer Dienst eines Landes wäre nach einer atomaren Katastrophe in der Lage, Hunderttausende oder gar Millionen von Verletzten zu versorgen, selbst wenn die medizinischen Einrichtungen intakt geblieben wären. Prävention, also Vorbeugung durch kontrollierte Abrüstung, kann deshalb nur das einzige Mittel gegen die verheerenden Folgen eines Atomkriegs sein, eine Heilung kann es nicht geben.
 
Entsprechend dieser Erkenntnis versucht die Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs seit gut 20 Jahren, einen Atomkrieg zu verhindern. Dafür wurde die Organisation schon wenige Jahre nach ihrer Gründung mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
 
Dr. Bernard Lown und Dr. Jewgenij Tschasow, zwei führende Kardiologen aus den USA beziehungsweise der früheren Sowjetunion, nahmen den Preis im Dezember 1985 entgegen. Sie hatten fünf Jahre zuvor ein Treffen von amerikanischen und sowjetischen Ärzten in Genf organisiert, bei dem eine Zusammenarbeit über die Grenzen der Machtblöcke hinweg vereinbart wurde. Heute umfasst der Zusammenschluss rund 150 000 Mediziner in gut 50 Ländern, darunter auch in Deutschland.
 
Die Ziele der Organisation bestehen vor allem darin, die Öffentlichkeit über die gesundheitlichen, sozialen und politischen Folgen möglicher Atomkriege zu informieren. Dazu gehören nicht nur die Zerstörungen in den jeweiligen Zielgebieten, sondern auch die klimatischen Auswirkungen auf den gesamten Erdball, bei denen durch Rauch und aufgewirbelten Staub den Explosionen ein »Nuklearer Winter« mit katastrophalen Missernten und Hungersnöten folgen könnte.
 
Die Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs untersucht darüber hinaus die Ursachen von Kriegen, tritt ganz allgemein für die Abrüstung ein und leistet Hilfe für Kriegsopfer.
 
Konkreter Anlass für die Gründung der Organisation war der so genannte Nachrüstungsbeschluss der NATO, mit dem Ende der 1970er-Jahre der Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen entgegengetreten werden sollte. Bereits Anfang der 1960er-Jahre hatte in den USA die Vereinigung Physicians for Social Responsibility (PSR) vor den Auswirkungen von Atomwaffeneinsätzen, von Kernwaffentests (die damals noch oberirdisch in der Erdatmosphäre durchgeführt wurden) sowie vor den Gefahren der zivilen Nutzung der Atomenergie und des radioaktiven Abfalls gewarnt.
 
 Kein Grund zur Entwarnung
 
Mit dem Ende des Kalten Kriegs ist die Gefahr eines Atomkriegs keineswegs geringer geworden; das Risiko ist vielmehr eher gewachsen. In den Arsenalen der Atommächte lagern heute schätzungsweise 30 000 Sprengköpfe und jeweils etwa 6000 bis 7000 strategische Waffen größerer Sprengkraft in den USA und in Russland. Hinzu kommen etliche hundert Nuklearwaffen in Frankreich, Großbritannien und der Volksrepublik China sowie eine unbekannte Anzahl in Staaten wie Indien, Pakistan oder Israel, die sich nachgewiesenermaßen oder höchstwahrscheinlich mit Atomwaffen rüsten. Mehr als 40 Länder wären technisch in der Lage, solche Waffen herzustellen.
 
Neben ihrem traditionellen Feldzug gegen die Kernwaffen führt die Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs in jüngster Zeit auch verstärkt Kampagnen gegen die Aufrüstung mit konventionellen Waffen und gesundheitliche Missstände, die zum großen Teil mit der Rüstungsspirale zusammenhängen. So leidet die medizinische Versorgung der Einwohner in vielen Ländern der Dritten Welt unter den enormen Auslandsschulden dieser Länder. Sambia musste beispielsweise Ende der 1990er-Jahre Zinszahlungen in Höhe von vier US-Dollar pro Einwohner und Jahr leisten, wendete im selben Zeitraum aber nur durchschnittlich einen US-Dollar pro Kopf für das Gesundheitswesen auf. In manchen Ländern ist das Missverhältnis noch größer. In fast allen Ländern der Dritten Welt gehen die Ausgaben für die medizinische Versorgung weiter zurück und die gesundheitliche Situation verschlechtert sich zusehends. Die IPPNW fordert daher für die ärmsten Länder den Erlass der Schulden, was ihnen wieder mehr finanziellen Spielraum für die Verbesserung des Gesundheitswesens geben würde.
 
An den Militärausgaben wird in der Regel nicht gespart. Besonders die Länder Afrikas rüsten für ihre zahlreichen Kriege und Bürgerkriege auf, nicht mit moderner Waffentechnik, sondern mit einfachen Massenwaffen, die auf dem Weltmarkt reichlich angeboten werden. Rund 500 Millionen solcher Waffen, vom Revolver bis zum Maschinengewehr, sind heute weltweit im Umlauf. In Zusammenarbeit mit anderen Organisationen versucht die Internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs derzeit auch, die Ausbreitung kleiner und leichter Waffen zu verhindern.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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